Die gelbe Bank Kolumne Folge 1 "Über Träume"

Von der gelben Bank oder über Visionen oder über Lebensträume auf der gelben Bank

 

Da steht sie: die gelbe Bank. Unter den Fenstern des Kreativlabors in der Schiffstraße in Erlangen. Die Hausfassade im Rücken, die Pflastersteine unter den Füßen. Ich habe sie gerade rausgetragen, es ist ein Freitag im Februar. Ich habe Ladendienst im Kreativlabor, in diesem wunderbaren Laden-Atelier-Coworkingspace, der in den letzten Monaten zu einem Hafen für mich geworden ist. Ort der Gemeinschaft, des Lernens, der Inspiration, der Kunst und des Handwerks. Und der knarzenden Dielen.

An diesem Morgen bin ich die Erste, öffne den Laden. Niemand ist da. Aber die Sonne. Ich geselle mich zu ihr. Zum ersten Mal in diesem Jahr draußen sitzen, ohne Mantel, mit Frühlingsgefühlen. Neben mir auf der gelben Bank steht eine Tasse Kaffee, liegen „Die Zeit“ und mein Handy. Gestern hat Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen. Ich möchte mehr lesen, weil ich besser verstehen will. Doch statt zu lesen, schreibe ich. Ich schreibe über das, was ich beobachte: Passant*innen, Gesprächsfetzen, die beginnende Alltagsgeschäftigkeit in der Schiffstraße, meine Gedanken, Krieg und Frühling – beides ist ausgebrochen.

 

Petra Häfner sitzt auf der gelben Bank vorm Kreativlabor Erlangen in der Schiffstraße. Dort schreibt sie die gelbe Bank Kolumne.

Geschichten von der gelben Bank in der Schiffstraße (Foto: Carolina Martínez)

 

ERINNERUNGEN AN EINEN MITTWOCH IN DER ZUKUNFT

Zwei Wochen später, nun ist schon März, stelle ich wieder die gelbe Bank raus, mache mir meinen Kaffee, lege die Zeitung neben mich. ‚Ist zweimal schon eine Tradition?‘, frage ich mich kurz. Auch an diesem Freitag lese ich nicht viel in der Zeitung. Passant*innen lächeln mir im Vorbeigehen zu, machen Halt am Postkartenständer. Ich lächle zurück. Es ist schön, den Tag alleine zu beginnen, ohne sich alleine zu fühlen, die gelbe Bank schafft Verbindung. Ich sinniere mit einem inneren Lächeln und vergesse kurz den Krieg.

Ich erinnere mich plötzlich an ein Seminar, das ich vor fünf Jahren an einem Wochenende besucht habe. Es hatte den Titel „Wo stehe ich, wo will ich hin?“. In einer der Übungen sollten wir uns ausmalen, wie ein ganz alltäglicher Mittwoch im Jahr 2022 aussieht. Vielleicht war es auch 2020, ich erinnere mich nicht mehr genau. Ich hatte schnell ein klares Bild vor Augen und war selbst überrascht von dieser Klarheit: Ich stehe morgens auf, wohne in einem Haus, in dessen Erdgeschoss ein Frühstücksraum ist. Vermutlich ist ein Teil des Hauses eine Pension, aber dafür trage ich nicht alleine die Verantwortung. Im Frühstücksraum kann ich mir meinen Milchkaffee holen, mit Gästen schnacken oder auch nicht, beim Abräumen helfen oder auch noch sitzen bleiben und Zeitung lesen. In Ruhe überlege ich, wonach mir heute ist. Gehe ich in meine Werkstatt im Garten und arbeite kreativ für mich alleine – zeichnen, malen, mit Ton gestalten, schreiben? Oder spaziere ich doch lieber in die City in unser Redaktionsbüro. Dort bin ich Teil eines Kernteams, an das immer wieder andere Kreative andocken für gemeinsame Projekte.

Auf der gelben Bank sitzend erinnere ich mich, dass ich mich in dieser Zukunftsfantasie ziemlich glücklich gefühlt habe. Ich hatte meinen Platz gefunden, arbeitete abwechslungsreich und kreativ, hatte Stadt und Natur in meiner Umgebung und vor allem tolle Menschen, denen ich vertraute und mit denen gemeinsam Größeres entstand.

 

WAS EIN IRE UND SEIN UKRAINISCHES TATOO MIT MEINEM TRAUM ZU TUN HABEN

Zwei Wochen später, der März wird immer wärmer, räume ich zum dritten Mal die gelbe Bank raus. Möchte mir einen Kaffee machen, meine Zeitung, mein Handy nehmen und mich raussetzen. Ich beschließe: Dreimal ist eine Tradition. Punkt. Doch auch diesmal komme ich nicht zum Lesen. Ein fremder Mann auf dem Fahrrad hält an, sagt „good morning“, als würden wir uns kennen. Ich lächle, freue mich über einen Smalltalk in Englisch. Er fragt „Can you make me a coffee, darling?“ und nimmt ganz selbstverständlich neben mir auf der gelben Bank Platz.

Sein Trenchcoat hat schon viel gesehen, denke ich mir. Im Gepäckträger des Fahrrads liegt ein ranziges Monopoly-Spiel. Er habe es ein paar Minuten zuvor auf der Straße gefunden, wird er mir später erzählen. Aus seinem Trenchcoat zieht er Plastikbesteck raus, auch ein paar Minuten vorher gefunden. Aus Irland sei er, erst kürzlich habe er sich ein Tattoo in Erfurt stechen lassen. Von einem Russen. Mit den Worten „Frieden im Osten“ auf Ukrainisch. Er scheint ein Mann mit Mission.

Einige Geschichten später – ich erahne, nicht jede Geschichte kann tatsächlich passiert sein, aber letztendlich spielt es keine Rolle, ich suche nicht nach der Wahrheit an diesem Morgen auf der gelben Bank –, einige Geschichten später also nehme ich den Alkoholgeruch und die triefende Nase des Mannes wahr. Ich biete ihm ein Taschentuch an und sage, dass auch ich „on a mission“ sei: schreiben. Ich wolle reingehen und arbeiten. Und wie wir uns verabschieden, ich in den Laden zurückgehe, weiß ich und spüre ich – das Spüren ist an dieser Stelle von besonderer Bedeutung, denn manchmal denke ich zu viel und vergesse das Spüren – also in diesem Moment weiß und spüre ich:

  • Erstens: Die gelbe Bank wird der Aufhänger meiner Kolumne. Schon seit Jahren möchte ich meine eigene Kolumne schreiben. Aber nie fiel mir das richtige Thema ein, war kein Konzept gut genug, nie probierte ich es einfach aus.
  • Zweitens: Ich glaube, ich habe schon ziemlich viel von dem, was ich mir damals an dem Seminarwochenende für einen Mittwoch in der Zukunft vorgestellt hatte.

 

DIE ROLLING STONES HABEN RECHT

Die Stones singen:

»You can’t always get what you want | But if you try sometimes, well, you might find | You get what you need«

 

Ich habe kein eigenes Haus und auch keine Werkstatt in einem idyllischen Garten, den Frühstückskaffee muss ich mir selbst machen und meistens ist auch keiner zum Reden da, wenn ich ihn trinke. Ich bin nicht Teil eines Redaktionsteams in der City. Und überhaupt arbeite ich viel weniger kreativ, als ich mir das wünsche, weil eine Selbstständigkeit aufzubauen, die sich finanziell trägt, oft sehr mühsam ist und es die meiste Zeit meines Selbstständigkeitsunterfangens eine Pandemie gab, die in meiner Zukunftsvision definitiv nicht vorgesehen war.

 

Petra Häfner trinkt aus einem Glas Rotwein. Auf ihrem Shirt steht "Die Phantasie wird siegen".

Wie schon Max Prosa sang: Die Phantasie wird siegen (Foto: Simone Kessler)

Ich habe stattdessen mein Homeoffice in der Mietwohnung am Nürnberger Plärrer, wo mein Tisch leicht vibriert, wenn die U-Bahn unter der Erde durchrauscht. Ich habe meinen Tisch und meinen Schreibdenklesesessel im Kreativlabor, wo ich neben einer Malerin, einer Goldschmiedin und einer Grafikdesignerin sein kann. Ich habe inzwischen Projekte, da kann ich von Arbeit nicht genug bekommen, weil sie sich wie ein erfrischender Waldspaziergang im Sommer anfühlen.

Ich glaube, die Stones haben recht. Denn ich habe die gelbe Bank bekommen und damit den letzten Mutstupser, eine eigene Kolumne zu schreiben. Alles, was mir auf der gelben Bank begegnet oder eben auch nicht, wird Thema für die gelbe Bank Kolumne werden. Gedanken, Beobachtungen, Alltagsgeschichten. Mitte März notierte ich mir in meinen Morgenseiten: „Es wird Zeit! Wenn ich nicht irgendwann beginne, wird es nie passieren.“ Heute ist es also passiert. Heute ging es um Träume, in die wir hineinleben, ohne es zu merken. Und das ist ein Anfang, mein Anfang. Denn ich habe ein kleines Universum in meinem Kopf und wundere mich, dass keiner es sieht. Wenn man das eigene Kopfkino nicht öffnet, bleibt man eben oft die einzige Besucherin des Blockbusters.

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BILDUNTERSCHRIFT: In die gelbe Bank Kolumne schreibe ich über alles, was mir auf der gelben Bank in der Schiffstraße begegnet. Oder eben auch nicht. Gedanken, Beobachtungen, Alltagsgeschichten, BILDQUELLE: Carolina Martínez (Foto)
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