Zuhören will gelernt sein
MOMO WAR EXPERTIN DARIN
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Hand aufs Herz: Rattert Ihnen hin und wieder die Einkaufsliste durch den Kopf, wenn Ihr Partner Ihnen grade von seinem Arbeitstag erzählt? Wissen Sie schon die Lösung, wenn Ihre zehnjährige Tochter beginnt, von ihrem morgendlichen Streit mit ihrer besten Freundin auf dem Schulhof zu erzählen? Oder langweilen Sie sich beim alljährlichen Urlaubsbericht Ihres besten Freundes und suchen das passende Stichwort, damit Sie endlich mit Ihren eigenen Urlaubserzählungen anknüpfen können?
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Eigentlich hören wir zu. Gleichzeitig sind wir aber mit unseren eigenen Gedanken beschäftigt, kommentieren, interpretieren und bewerten innerlich das, was wir hören. Unser Gegenüber hat nicht unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Im Zeitalter von Smartphone und Co verschärft sich das. Wir sind schnell abgelenkt und konzentrieren uns viel zu selten auf nur eine Sache.
Was zunächst passiv und banal klingt, ist eine Kunst. Richtig zuhören will geübt sein: Mit Interesse ganz bei dem anderen sein und mit eigenen Worten Teile des Gehörten wiederholen, Verständnisfragen stellen, aber eigene Reaktionen und Meinungen zurückstellen. Der Aufwand lohnt sich. Aktives Zuhören fördert zwischenmenschliche Beziehungen. Der Erzählende kommt ohne Unterbrechungen besser in den Fluss, teilt mehr Informationen und Emotionen mit. Der Zuhörende kann mehr Verständnis und Empathie entwickeln, bevor er urteilt und reagiert. Wem aufmerksam zugehört wird, der fühlt sich in der Regel gut verstanden und angenommen. Das steigert das Wohlbefinden und stärkt die Psyche. Der Fußballtrainer Jürgen Klopp soll zu einem Journalisten mal über das Geheimnis seines erfolgreichen Führungsstils gesagt haben: „Menschen, die sich verstanden fühlen, schöpfen Kraft aus sich selbst.“
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AKTIVES ZUHÖREN IN DER BIOGRAFIEARBEIT
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Welche Bedeutung das aktive Zuhören in der Biografiearbeit hat und was Momo mit aktivem Zuhören zu tun hat, erklärt Cornelia Stettner, Leiterin des Instituts Biografiearbeit im forum erwachsenenbildung – evangelisches bildungswerk e.V. in Nürnberg.
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In der Biografiearbeit ist das aktive Zuhören besonders wichtig. Was macht es so wichtig?
Cornelia Stettner: Zuhören ist das Herzstück der Kommunikation. Es bedeutet erstmal, dass sich eine Beziehung zwischen dem Zuhörenden und der Erzählenden aufbaut. Und aktiv zuhören heißt, ich bin ganz bei dem oder der anderen: vom Gefühl, von den Gedanken und vom Inneren her. Man geht wie ein innerer Begleiter mit der Geschichte mit, die der oder die andere erzählen will. Durch das Zuhören wird dem anderen ermöglicht, dass sich Erinnerungen einstellen und sowohl vertiefen als auch weiten.
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Welche Wirkung hat das aktive Zuhören – stellen sich anders oder andere Erinnerungen ein?
Wenn mir jemand zuhört, komme ich in einen Erzählfluss. Eine Erinnerung gebiert die andere sozusagen. Es entfalten sich Geschichten. Wenn ich als Zuhörende nicht nur Verständnisfragen stellen würde, sondern nachfragen würde, weil mich etwas interessiert, würde ich den Erzählenden auf eine andere Spur setzen. Im biografischen Erzählen und Arbeiten ist es wichtig, dass der Mensch in seine ganz eigene Erzählspur findet. Und die entfaltet sich, wenn ein Gegenüber da ist und eine Situation kreiert, als wenn man alleine seinen Gedanken nachgeht.
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Was empfiehlst du, wie man das aktive Zuhören üben kann?
Man kann es in doppelter Weise üben. Man sucht sich einen Gesprächspartner und vereinbart das. Dabei beachtet man ein paar Regeln. Ich gestalte zum Beispiel erstmal die Situation. Ich schaue, dass ich bei mir bin, dass ich mich dann auf den anderen oder die andere einstelle, wirklich innerlich mitgehe und nicht unterbreche. Ich übe, indem ich einmal eine Viertelstunde den anderen nicht unterbreche und immer noch dabei bin, vor allen Dingen keine eigenen Kommentare dazugebe und keine eigenen Erinnerungen einfließen lasse. Wenn das Erzählte bei mir eine Erinnerung oder eine Reaktion auslöst, versuche ich, diese nach hinten zu stellen, innerlich abzulegen. Wenn mir das gelingt, das immer wieder zu tun, dann kann das ein effektives Training sein.
Eine andere Möglichkeit ist, sich an Menschen zu erinnern, bei denen man sich wirklich verstanden gefühlt hat. Und dann schaut man, was hat denn der- oder diejenige gemacht beziehungsweise nicht gemacht. Man sucht sich Vorbilder: So möchte ich auch gerne zuhören können. Das sind die besten Ratgeber, weil sie sich aus der eigenen Erfahrung speisen.
Oder man liest Momo.
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Welche Alltagssituationen kann das aktive Zuhören möglicherweise leichter machen?
Immer wenn ich Menschen verstehen will. Normalerweise „üben“ wir schon sehr schnell die Antwort, da hat der andere noch gar nicht ausgesprochen. In der Regel liegen wir dann daneben. Dass Kommunikation überhaupt gelingt, ist ein Wunder. Wirkliche Kommunikation – bei Sachfragen, aber auch, wenn es darum geht, den anderen verstehen zu wollen – braucht diese Zeit. Auch im Alltag. Zeit, erstmal mit dem anderen mitzugehen, bei ihm zu bleiben und dann erst als zweites eine Reaktion zu geben. Dafür sind die gesellschaftlichen Bedingungen nicht gut. Weil alles schnell gehen soll, wird es schnell diskursiv. Unterschiedliche Dinge können nicht einfach mal nebeneinanderstehen bleiben. Wirkliches Verstehen braucht inneren und äußeren Raum.
„Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: zuhören. […] Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen auf solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. […] Sie konnte so zuhören, dass ratlose oder unentschlossene Leute auf einmal ganz genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden.“
Aus Michael Ende: „Momo“.
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